Online mit den Göttern
Der Artikel, aus dem Jahr 1999 stammend, in der SZ erschienen, wurde überarbeitet. Veränderungen und Kommentierungen sind kursiv gesetzt.
(fi) Auf Bali, dem indonesischen Urlaubs-Paradies im Indischen Ozean, schießen die Internet-Shops wie Pilze aus dem Boden. Denn auch auf der Insel der Tausend Götter und zehntausend Tempel wollen immer mehr Menschen online gehen – manchmal sogar mitten im Reisfeld …
Wayan hat es eilig, denn er ist verliebt. Der 24jährige Balinese muss schnell ins Internet-Cafe radeln, um seiner Deutschen Freundin Britta in Dortmund eine E-Mail zu schreiben. Es ist 19 Uhr, Wayan hat Dienstschluss in dem Reisebüro, in dem er arbeitet. In Deutschland ist es jetzt 12 Uhr mittags. Britta sitzt grade an der Uni vor dem PC – das müsste passen. Auf Bali, dem indonesischen Urlaubsparadies, war es noch vor ein paar Jahren ein schwieriges Unterfangen, ein internationales Ferngespräch zu führen. Heute sprießen die Internet-Shops wie Bambus aus dem Boden, und mit einem Mausklick klinkt man sich ins weltumspannende Datennetz. Für Wayan und Britta ist das Internet ein Segen. »Ein Ferngespräch nach Deutschland könnte ich mir unmöglich leisten«, sagt Wayan. Das Senden einer E-Mail kostet den jungen Balinesen dagegen nur rund 1000 Rupiahs (aktueller Kurs: 1 Euro = 17.000 Rupiah). »Ein paar mal in der Woche kann ich mir das schon leisten«, lacht Wayan.
Das kleine Schwarze per E-Mail
So wie Wayan haben viele Indonesier die Chancen des Internet entdeckt. Und immer mehr nutzen das Net nicht nur für Privates, sondern machen auch Geschäfte damit: So wie zum Beispiel Ira Kania, eine 28jährige Javanerin aus Bandung, die in Bali eine kleine Textilfabrik leitet.
»Seit ich per eMail erreichbar bin«, sagt sie, ist die Kommunikation mit meinen Kunden viel einfacher. Früher musste ich oft stundenlange Telefongespräche mit meinen Auftraggebern in Australien oder Kanada führen, über Schnitte und Farben verhandeln. Jetzt genügt eine kurze eMail, um alles blitzschnell und exakt festzulegen.« Vom Strand-Outfit bis zum kleinen Schwarzen hat Ira alles im Angebot; ein langes, geblümtes Sommerkleid etwa kostet bei Direktbestellung ganze 8 Euro.
Auch die auf Bali lebende Gemeinde der ›Expats‹ – europäische und amerikanische Exporteure und Geschäftsleute, die einen Großteil des Jahres hier verbringen, nutzt das Internet rege. Anton Irmscher, ein 39jähriger Self-Made-Unternehmer, der seit Jahren Bambus-und Teak-Möbel exportiert, kann ohne seinen Computer nicht mehr leben: »Mir ist es zu umständlich, immer ins Internet-Cafe zu rennen«, sagt er. Ich habe meinen PC mit Online-Anbindung zu Hause stehen.« Irmscher nutzt die Dienste eines lokalen Providers, um sich ins Netz einzuklinken. »Die Anmeldung war kinderleicht. Vormittags habe ich mich registrieren lassen, nachmittags konnte ich mich ins Netz einwählen und hatte meinen eMail-Account. Das läuft hier alles nicht so kompliziert und bürokratisch wie in Deutschland.« Die Kosten: 70.000 Rupiahs (ca. 5 Euro) pro Monat, inclusive 30 Freistunden – auch davon können (konnten! die Verhältnisse haben sich seither geändet) deutsche Onliner nur träumen.
Sunset am Beach, dann ins Internet
Irmscher nutzt das Netz zum einen, um den Kontakt mit seinen Kunden aufrechtzuerhalten, zum anderen als Informationsquelle. »Letztes Jahr (1998), als die große Währungskrise begann, wäre ich ohne die Infos aus dem Netz aufgeschmissen gewesen«, so der Unternehmer. Doch das Internet bot ihm die Möglichkeit, den aktuellen Rupiah-Kurs genau zu verfolgen. Im richtigen Moment schlug er zu: »Für rund 8000 Mark habe ich mir einen fast nagelneuen Van gekauft.« Irmschers Tagesablauf sieht heute so aus: Morgens Zeitungslektüre und ein erster Blick ins Mail-Postfach, ab 11 Uhr Kundengespräche mit einem seiner drei Handys, um 16.30 Uhr mit den Hunden an den Beach bis Sunset. »Und dann wieder schnell nach Hause an den Computer.«
Einer, der schon ganz früh die Chancen des Internets erkannt hat, ist der 39jährige Balinese Nyoman Suda. Schon im Frühjahr 1996, als in Deutschland noch die wenigsten Firmen per eMail erreichbar waren, stellte er ein Notebook mit Internet-Anschluss in seine kleine Travel Agentur in Ubud, Balis ›Künstler-Haupstadt‹. Heute ist Internet das Haupt-Business in Nyomans Office. Es wird von Touristen genauso genutzt wie von den vielen Exporteuren, die von Ubud aus Schnitzereien und andere Kunstgegenstände in alle Welt schicken. Zwar gibt es im Ort inzwischen fast ein Dutzend Internet-Cafés und -Services, aber Nyomans Office hat einen unschlagbaren Vorteil: Das Gebäude liegt inmitten der traumhaften Reisfelder am Rande der Stadt. Vom Computer aus blickt man direkt auf die sattgrünen Reisterrassen ringsum – so entspannt wie hier kann man sonst nirgends arbeiten. Gestreßte Business-Leute und strandmüde Urlauber wissen das zu schätzen. Heute hat Nyoman drei (aktuell: 15) Computer in Betrieb.
Schiffer, Naomi, Börsenkurse
»Das Internet ist eine geniale Sache«, sagt Nyoman. »Wenn es es nicht gäbe, müßte man es erfinden.« Denn endlich, so der Geschäftsmann, »sitzen wir nicht mehr am Rande von Nirgendwo, abseits von wichtigen Informationen und mit, sagen wir mal, dürftiger Presse. Wenn ich die neuesten Fotos von Claudia Schiffer oder Naomi Campbell sehen möchte, finde ich die genauso im Netz wie die Börsenkurse von Jakarta oder Kuala Lumpur.« Das Internet, so meint Nyoman, ist ein sehr ›demokratisches Medium‹.
Doch, gibt es da nicht eine Kehrseite der Medaille: Internet-Shops an jeder Ecke, Mobiltelefone in jeder Hosentasche – ist Bali etwa auf dem Weg, ein Business-Moloch wie Hongkong oder Singapur zu werden? »Nein, keine Gefahr«, sagt Ida Bagus Subawa, ein Balinese und ausgezeichneter Kenner der Kultur seiner Insel: »Bali war schon immer ein Land der Extreme. Wir haben vier Mobilfunknetze und gut ein halbes Dutzend Internet-Provider hier, aber wir haben auch Abertausende von Tempeln, und die werden immer das Wichtigste bleiben. Die balinesische Kultur ist sehr stark, sie ist in der Lage, fremde Einflüsse zu adaptieren und – auch wenn sie Negativ scheinen – ins Positive zu wenden.«
»Warum«, so Ida Bagus, »sollen die Balinesen an der Modernen Technik vorbeigehen und sie den Fremden überlassen? Nein, wir nehmen unsere Dinge selber in die Hand, ganz pragmatisch. Die technischen Hintergründe sind dabei zweitrangig. Hauptsache es nützt und gibt gutes Karma.« Genau das findet auch Wayan, der sich Brittas eMail ausgedruckt hat und glücklich in der Hand schwenkt. Gutes Karma!
© Armin Fischer, Süddeutsche Zeitung, 1999
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