›Neu Denken, neu Leben!‹ – abseits hilfloser Politik
(fi) Inzwischen erscheint es wie ein Wunder wenn die Politik irgendeine Entscheidung zustande bringt. Wir erleben eine Zeit der Stagnation und Untätigkeit wie selten, und das betrifft alle Bereiche der Politik.
Bunt zusammengewürfelte Beispiele: Ob es darum geht, die tierquälerische Käfighaltung von Zuchtkaninchen abzuschaffen; oder einen Fall, bei dem Politiker schon vor einem Jahr einem Mädchen, deren Mutter ›Hartz IV‹ bezieht, persönlich und live im Fernsehen versprochen haben, dass sie künftig die Einkünfte aus ihrem Ferienjob behalten darf, statt sie postwendend bei der ›Arge‹ wieder abzugeben. Ob es die Milchbauern betrifft oder das marode Bildungssystem – an allen Fronten ist es das gleiche: die Politik lässt ›prüfen‹, ›Vorlagen erarbeiten‹, ›setzt eine Kommission ein‹, ›beruft einen Gutachterausschuss‹, bittet zum ›runden Tisch‹ – aber am Ende tut sie nichts, nichts und gar nichts.
Nur ihre eigenen Pfründe sichern und mehr Bürokratie schaffen.
Fazit: Die Parteien könnten uns heute nur noch einen einzigen großen Gefallen tun: sich selbst abschaffen. Freilich, das werden sie nicht tun. Als Wähler bleibt uns dann nur noch übrig, sie zu ignorieren.
Burkhard Riedel hat ein exzellentes Buch geschrieben (›Neu Denken, Neu Leben!‹), in dem er – neben vielen anderen erhellenden Gedanken – das Versagen der Politik auf den Punkt bringt. Es handelt davon, dass ein altes, verkrustetes System die Menschen nach Rezepten des vorletzten Jahrhunderts zu gängeln versucht, und sich andererseits schon längst nicht mehr als Vertretung des Volkes benimmt, sondern als Sachwalter von Eigeninteressen, oder noch schlimmer, als Erfüllungsgehilfen der Großkonzerne und Banken.
Genau dazu hat die ARD gestern (24/03/2010) im Nachtprogramm (um 0.15 Uhr) einen, ja, beängstigenden Film gezeigt, mit dem Titel ›Gier und Größenwahn‹. Er dokumentierte auf schockierende Weise, wie die Bundesregierung sich bei der ›Bankenrettung‹ zu Erfüllungsgehilfen der Mega-Bank-Konzerne machte, die zuvor Milliarden in den Sand gesetzt hatten. Bezahlt, gerettet, gesponsert wurden die Banken mit Steuergeldern, mit dem Geld der ›normalen‹ Leute. Dass die Bundesregierung dabei ›über den Tisch gezogen‹ wurde, wie es heute oft heißt, ist verniedlichend. Es war klarer Wille, Absicht und politisches Kalkül, die Mega-Bankrotteure zu verschonen.
Einer der Drahtzieher, der, nett ausgedrückt, bankenfreundliche Staatssekretär im Finanzministerium Jörg Asmussen, ist bis heute im Amt. Auf ausdrücklichen Wunsch von Frau Merkel, wie es im Film hieß. – Entlarvend war, neben den Fakten, eine zweite Ebene, die der preisgekrönte Autor Hubert Seipel im Film transportierte: Das kollektive Grinsen und das Schulterklopfen der Strippenzieher, von Ackermann bis Steinbrück.
Zurück zu Burkhard Riedels Buch: Als »Kapitäne ohne Kurs und Kompass« bezeichnet er die Politiker von heute, als müde Männer (und Frauen), denen jede Inspiration fehlt, die es gerade noch schaffen, immer neue Bürokratie-Monster an allen Fronten zu erschaffen (denn das ist vergleichsweise einfach und geht fast von selbst), die den Menschen weismachen wollen, sie würden sie »auf ihrem Weg mitnehmen wollen« – den sie in Wirklichkeit nicht besser kennen als ein Grottenolm den Weg von München nach Sacramento. Ihre einzige Legitimation ist ein Ticket: das Ticket ihrer Partei. Und wenn sie nach der politischen Karriere Glück haben und industriefreundlich waren, dürfen sie es danach ein zweites Mal abstempeln: bei irgendeinem Geldkonzern im Austragsstübchen.
Zur Dokumentation von Machtverfall und Abhängigkeit der Politik zitiert Riedel einen Artikel aus der Zeitung ›Die Woche‹, der wirklich ein Augenöffner ist: »In den 1990er Jahren sind mehr multinationale Unternehmen entstanden, als in dem halben Jahrtausend davor. Die 15 mächtigsten Firmengiganten allein setzen mehr um, als die 60 ärmsten Länder zusammen erwirtschaften. Zu den weltweit 100 größten wirtschaftlichen Einheiten zählen heute 52 Konzerne – aber nur noch 48 Staaten (…) Etwa 200 gewaltige Konzern haben sich ihren Volkswirtschaften entzogen – jeder Volkswirtschaft.«
Zwar unterhält auch die Politik riesige Apparate. Aber es sind keine innovativen Apparate, sondern solche des Machterhalts und Bürokratie-Erzeugungsmaschinen. Den Bürger hat sie einerseits aus dem Auge verloren, und wenn es andererseits um die Konfrontation mit der Wirtschaft geht (Banken, Autoindustrie, Pharmaindustrie) ist sie ein zahnloser Tiger.
Genug damit. Das Fazit ist: Neu Denken, neu Leben. Sich von Hoffnungen an die Innovations- und Gestaltungskraft von Politik (zumindest im jetzigen Stadium) verabschieden, und sein Leben selbst in die Hand nehmen. Wie das gehen soll, beschreibt der Autor im zweiten, nach vorne blickenden Abschnitt des Buches.
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