Fünf Gründe, warum der Jauch-Kachelmann-Talk so schlecht war
(fi) Vor gefühlten hundert Jahren war ich Teilnehmer eines Seminars an der Münchner LMU im Studiengang Journalistik, und der erfolgreiche Jungspund, der das Seminar leitete, war Günther Jauch. Vor dem Unigebäude, gleich vorm Schaufenster des Beerdigungsinstituts ›Pietät‹, hatte er seinen schwarzen kleinen Fiat Uno geparkt, was zu seinem netten und bescheidenen Auftreten gut passte. (Während ich, der Student, meine Alfa Romeo Giulia ein paar Meter weiter abgestellt hatte, tss, tss, tss.)
Aus alter Sympathie für meinen netten, bescheidenen, gar nicht schnöseligen Dozenten, will ich jetzt gar nicht mit einer gemeinen Rezension die sonntägliche Talkshow mit Kachelmann zerreissen, sondern erlaube mir eine nüchterne Analyse.
Die Talkshow war aus folgenden Gründen so überaus schlecht:
1) Günther Jauch war null vorbereitet. Er kannte die Fakten des Prozesses nicht, die er sich am besten aus dem Studium der Originalunterlagen, zumindest aber aus den Artikeln der wenigen korrekt arbeitenden Gerichtsreporter, wie Sabine Rückert (›Zeit‹) oder Gisela Friedrichsen (›Spiegel‹) hätte aneignen können. Aus diesem Grund konnte er leider nicht zwischen Fakten, Gerüchten und bloßen Behauptungen und Beschuldigungen unterscheiden.
2) Er versuchte es mit Scheinobjektivität (Eine Krankheit aller Talkshow-›Meister‹ und ›Meisterinnen‹ in Deutschland):
Vom Moderator einer solchen Sendung erwartet man gewöhnlich, dass er überparteilich sein müsse. Gut, aber Überparteilichkeit bedeutet nicht Meinungslosigkeit (und auch nicht Ahnungslosigkeit).
Jemand, der sich mit einem Sachverhalt beschäftigt, indem er beispielsweise die Akten liest, wird sich dabei automatisch eine eigene Meinung bilden. Das geschieht, wie gesagt automatisch, und das ist gut so. Ich erwarte von jemandem, der durch ein strittiges Thema führt, dass er eine eigene Meinung dazu hat, dass er die Fakten verstanden und für sich eingeordnet hat. Dass er weiß, wo die Schwerpunkte liegen, wo die Fehler, Schwächen und Stärken der beteiligten Parteien, und auf welche Sachverhalte es am stärksten ankommt. Nur dann kann er eine Diskussion strukturieren, und beiden Seiten angemessenen Raum geben. Nur dann kann er aber auch offensichtlichen Schwachsinn, der in seiner Sendung verzapft wird, und Lügen, aufdecken.
Doch leider: Kein Moderator im Hauptprogramm verfährt so, Jauch ist da nicht alleine. Die Methode, die statt dessen angewandt wird, geht so: Hauptsache, beide Seiten dürfen was dazu sagen, egal wie verkehrt, unwahr oder schwachsinnig es ist. Ich als Moderator muss mich da nicht groß einmischen. Nein, am besten, ich weiß gar nichts von der Sache, ich stelle mich einfach blöd. Wirklich eine praktische Taktik – die aber zur Erhellung des Publikums nicht das Geringste beiträgt, sondern zu seiner Verdummung.
3) Die hinzugeladenen Gäste waren für dieses Thema ungeeignet oder inkompetent.
• Inkompetent war Gerhart Baum (79)
So verdienstvoll der FDP-Politiker auch sein mag, bei diesem Thema war er eine Fehlbesetzung. Ein simpler Sachverhalt war ihm trotz mehrerer Anläufe nicht nahezubringen:
-> In der Tat ist es so, dass von allen tatsächlich stattgefundenen Vergewaltigungen nur ein geringer Teil zur Anzeige kommt, vielleicht zwischen 5 und 15 Prozent.
-> Anderseits ist es so, dass 100 Prozent aller erfundenen Vergewaltigungen zur Anzeige kommen. Denn es ist ja Sinn und Zweck einer Falschbeschuldigung: Dass zur Anzeige kommt und Konsequenzen hat.
Daraus folgt mit mathematischer Präzision, dass unter allen angezeigten Vergewaltigungen, seien sie nun tatsächlich geschehen oder erfunden, der Prozentsatz der erfundenen Fälle überproportional hoch (also wesentlich höher als das reale Verhältnis ›echte Vergewaltigung‹ : ›Falschanzeige‹) sein muss.
Auch Günther Jauch hat das offensichtlich nicht verstanden, sonst hätte er Baum endlich aufklären können.
• Ungeeignet war Winfried Hassemer (72)
Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts sagte zwar einige Sachen, die wichtig und richtig waren, hielt sich aber mit Kritik an seinen Richterkollegen außerordentlich zurück. Hier wäre ein Gast gefragt gewesen, der nicht aus falsch verstandener beruflicher Solidarität schweigt und verharmlost, sondern einer, der Klartext spricht.
• Nicht der Rede Wert ist eigentlich Hans Hermann Tiedje (63). Seine Anwesenheit hätte sich in einer vernünftig besetzten Runde verflüchtigt, er wäre nur eine kuriose Randerscheinung gewesen. Leider war die Runde nicht vernünftig besetzt, und zudem versagte auch der Moderator, so dass Tiedje auftrumpfen konnte. Leider mit Pöbeleien, Gehässigkeiten und Nachverurteilungen gegenüber Kachelmann – der dazu bewundernswert ruhig blieb.
4) Den Einspielfilmen mangelte es an logischer Verdeutlichung des Sachverhalts. Statt dessen waren sie tendenziös, und nur dazu angelegt, Vorurteile, egal in welcher Richtung, zu bestätigen.
5) Auch abgesehen von Gästeauswahl und Einspielfilmen hat die Redaktion unsauber und schludrig gearbeitet, wie die Einblendung eines falschen Fotos (des alten Verteidigers) zu einem Statement des neuen Verteidigers der Anzeigeerstatterin zeigte.
Fazit
Insgesamt war es unter journalistischen Kriterien eine grottenschlechte Sendung. Unterhaltungswert hatte sie aber durchaus: Unterhaltung im Sinne von ungläubigem Staunen, dass es so eine unqualifizierte Sendung geben kann.
Meine Bitte an all die Talk-›Meister‹ und ›Meisterinnen‹ im Lande: Besinnt euch wieder auf echten Journalismus, den ihr mal selbst gelernt habt, oder vielleicht sogar gelehrt …
Hier auch ein guter Artikel zum Thema, von Stefan Niggemeier
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