Der Soziopath von nebenan
(fi) Das Buch ›Der Soziopath von nebenan‹ von Martha Stout ist zur Zeit bei amazon und den meisten anderen Online-Buchhändlern ausverkauft. Die prominenteste Unbekannte des Landes, das mutmaßliche Kachelmann-Opfer Sabine W. (so der von vielen Medien benutzte Tarnname) hielt sich dieses Buch neulich bei der Autofahrt ins Gericht schützend vor das Gesicht, um nicht fotografiert zu werden. Aufgeklappt und bestens sichtbar. In Ermangelung anderer Fakten thematisierten sofort alle Medien das Buch. Der beste PR-Effekt, der dem Wiener Springer Verlag hatte passieren können. Die Zukunft sieht nun so aus: Presseabteilungen von Buchverlagen bestücken aufmerksamkeitsträchtige Angeklagte regelmäßig mit ihren neuesten Publikationen, zur medienwirksamen Beschirmung. Ja, vielleicht werden sogar Buchtitel speziell für diesen Zweck auf den Markt gebracht: ›Die Fahrt ins Gericht‹ wäre ein schöner Titel. – Doch Spaß beiseite.Ob Kachelmann ein Soziopath ist oder nicht, wollen wir ein andermal diskutieren. Wir gehen heute mal einer anderen Frage nach, die eine lebenskluge Bekannte vor kurzem beim Abendessen aufgeworfen hat: »Es ist doch so: Die beiden kannten sich seit 11 Jahren, hatten in allen möglichen Variationen und Härtegraden Sex – kann man da denn überhaupt von einer ›Vergewaltigung‹ sprechen, egal was passiert ist? Ist das nicht viel eher eine Sache im Privatbereich zwischen den beiden? Schließlich sind sie 11 Jahre lang ohne Anwalt und Richter ausgekommen, mit großem Spaß.«
Ich war von dieser klaren Ansage ein wenig baff, aber natürlich ist da was dran. Dann hab ich mal nachgesehen: Rein juristisch macht es keinen Unterschied, ob es sich um eine Beziehungstat, um Vergewaltigung in der Ehe oder einen nächtlichen Überfall eines fremden Täters handelt. Vergewaltigung ist Vergewaltigung, und Kachelmann drohen bei Verurteilung bis zu 15 Jahre Haft.
Im Juristendeutsch: Die höchstrichterliche Rechtsprechung sieht auch in der Erzwingung des ehelichen Beischlafs selbst nach mehrjähriger Geschlechtsgemeinschaft der Beteiligten keinen Anlass, von der Anwendung des Regelstrafrahmens des § 177 Abs. 2 StGB (= 2 bis 15 Jahre Freiheitsstrafe) abzusehen und den Strafrahmen zu vermindern.
Der Gesetzgeber hat dies sicher aus guten Gründen so festgelegt: Eine Vergewaltigung in einer Partnerschaft soll nicht verharmlost werden, soll genauso schwer wiegen wie eine Tat zwischen zwei Menschen, die sich zum ersten Mal begegnen. Das kann man so sehen. Allerdings ist dann umso mehr das Fingerspitzengefühl des Gerichts gefragt, wenn es darum geht, die Tatumstände zu würdigen und herauszufinden, wie es dazu kam und was eigentlich wirklich passierte.
Im Fall Kachelmann geschieht leider genau das Gegenteil. Das Gericht scheint den Wettermann im Geiste schon vorverurteilt zu haben, die Staatsanwaltschaft hat sich ohnehin längst verrannt. Jeder brutale nächtliche Überfallstäter, so scheint es, würde ein faireres Verfahren bekommen als der prominente Wetterfrosch. Das Gericht, inzwischen mehrfach von der Verteidigung mit einem Befangenheitsantrag konfrontiert, hat zuletzt nur mit Mühe die Kurve gekratzt, um den Anschein eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu wahren.
Hartnäckig weigerte sich der Vorsitzende Richter Seidling, die Zeugin, des vermeintlich Opfer, vor ihrer Aussage über ihre Rechte aufzuklären. Ein Vorgehen, aus dem die Verteidigung schließen musste, dass das Gericht von vornherein keinen Zweifel an deren Aussage habe und sich die Zeugin laut Meinung des Gerichts keinesfalls in Gefahr begeben würde, die Unwahrheit zu sagen. Die Verteidigung ihrerseits musste die vollständige Belehrung durchdrücken, denn im Fall eines Freispruchs für Kachelmann, den die Verteidigung ja anstrebt, wären ohne diese Belehrung keine rechtlichen Konsequenzen gegen eine Falschbeschuldigung einzufordern. Erst nach einem neuerlichen Befangenheitsantrag, ruderte das Gericht zurück, und belehrte die Zeugin über ihre Rechte, mit dem fadenscheinigen Hinweis, man habe das ja ohnehin tun wollen, nur später.
Wahrscheinlicher ist: Die Richter haben von ihren Kollegen, die über den Befangenheit zu urteilen hatten, einen klaren Fingerzeig bekommen: Entweder ihr führt die Belehrung ordnungsgemäß durch, oder das Gericht katapultiert sich selber aus dem Verfahren.
Unterm Strich kann man heute nicht mehr sagen, dass das Gericht unbefangen und unbelastet ist. Der Richter und der Vater des vermeintlichen Opfers scheinen sich zu kennen, schon im Vorfeld nannte der Richter Kachelmanns Ex-Freundin ›das Opfer‹, statt das ›mutmaßliche Opfer‹ wie er sich korrekterweise hätte ausdrücken müssen. Es scheinen bei diesem Verfahren eine Menge moralische Überlegungen im Spiel zu sein, die eigentlich hier nichts zu suchen haben. (Motto: Kachelmann muss sitzen, weil er diese Frau betrogen hat, nicht weil er sie vergewaltigt hat). Insofern: Ja, ein völlig fremder Täter, der Sabine W./Simone W./Claudia nachts auf dem Nachhauseweg überfallen und sie unter einem Lastwagen vergewaltigt hätte, hätte vermutlich vor diesem Gericht ein faireres Verfahren zu erwarten gehabt, als Kachelmann (und die Gutachter, die ihm eine schwierige Kindheit, die diesem Täter ein schwieriges soziales Umfeld, psychische Probleme und was sonst noch alles zur Entschuldigung attestiert hätten, wären selbstverständlich ausnahmslos angehört worden).
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