Vorsicht, Gen!
(fi) Die ganze Aufregung um Thilo Sarrazins Buch habe wegen Urlaubs ich aus der Distanz verfolgt, aber so einige Diskussionsfetzen sind doch zu mir durchgedrungen. Zum Beispiel habe ich das Gefühl, dass man das Wort ›Gen‹ in Deutschland nur mit äußerster Vorsicht gebrauchen darf, insbesondere im Zusammenhang mit Eigenschaften bestimmter Populationen oder Gruppen. Mir kommt das vor, als würde man mit der Leugnung von Genen hinter das wissenschaftliche Zeitalter zurückfallen.
Natürlich haben bestimmte Teilpopulationen der Menschheit gemeinsame oder auch unterschiedliche Gene. Dass z.B. die Schwarzen schwarz sind und die Chinesen mandelförmige Augen haben, liegt nicht an Erziehung oder Schönheitsoperationen, sondern wird durch Gene vererbt. Gene, die sich im Lauf der Jahrtausende an bestimmte Lebensumstände angepasst haben. Das betrifft sowohl körperliche als auch psychische Eigenschaften der Menschen. Wir sind nicht ›alle gleich‹ – um das festzustellen, brauchen wir nur in den Spiegel zu schauen.
Auch Männer und Frauen sind übrigens nicht ›gleich‹. Obwohl es eine Platitüde ist und für jeden erkennbar, dass Männlein und Weiblein unterschiedlich sind, gibt es eine lange Tradition in der Emanzipationsbewegung, die ›Anti-Biologistinnen‹, die dies auzuwischen versuchten. Ihre These: Sämtliche Unterschiede zwischen Mann und Frau sind nur kulturell bedingt bzw. anerzogen, oder erfolgen durch Prägung des Kindes in den ersten paar Lebensjahren.
Alice Schwarzer erklärt es in ihrem Buch ›Man wird nicht als Frau‹ geboren‚ entgegen ihrer Gewohnheit klar:
»Seit es Frauenrechtlerinnen bzw. Feministinnen gibt, zerfallen sie in zwei Hauptströmungen:
• Die eine Strömung, das sind die Antibiologistinnen, genannt die Radikalen oder Universalistinnen bzw. Gleichheitsfeministinnen. Sie gehen von einer grundsätzlichen Gleichheit der Menschen und damit auch der Geschlechter aus. Nicht der biologische Unterschied, sondern die sozialen ökonomischen und politischen Unterschiede sind für sie die Ursache der heutigen Differenz zwischen den Geschlechtern. (Zu dieser Gruppe zählt sich auch Schwarzer selbst.)
• Die andere Strömung beruft sich auf den Unterschied der Geschlechter, auf die Differenz. Die Differentialistinnen halten den Unterschied zwischen Männern und Frauen für unabänderlich: Sei es, dass er naturgegeben oder aber irrevesibel geprägt, also quasi genetisch veranlagt sei. Sie sind für ›Gleichberechtigung‹, aber gegen Gleichheit und wollen den bestehenden Unterschied nicht aufheben, sondern umwerten.« A. Schwarzer, Zitat Ende.
Die zweite Auffassung ist natürlich wesentlich lebensnäher, plausibler und vernünftiger und steht auch mehr im Einklang mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen. So gesehen würde ich mich selbst im Sinne dieser Aufteilung als Differentialisten bezeichnen, denn als moderner Mann bin ich natürlich für Gleichberechtigung ;)
Dominiert wird die feministische Debatte nach wie vor von den Antibiologistinnen. Aber es ist ja schon lächerlich, wenn alle genetischen Unterschiede geleugnet werden. Ein einfacher Blick auf den menschlichen Körperbau, auf die unterschiedliche Ausprägung der Geschlechtsmerkmale von Mann und Frau genügt. Sollten die etwa ›anerzogen‹ oder durch ›Prägung‹ in den ersten paar Lebensjahren entstanden sein? Oder durch soziale, ökonomische und politischen Unterschiede in den Kulturen? Jedermann weiß, und selbst Antibiologistinnen wissen, dass das Quatsch ist.
Die antibiologistische Einstellung hat – und jetzt bin ich zurück bei Sarrazin – gerade eine starke Anhängerschaft in seiner eigenen Partei, der SPD, und natürlich bei den Grünen. Hineintransportiert nicht zuletzt durch die Ansichten und Dogmen der Emanzipationsbewegung in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Das ist auch ein Grund, warum der Aufschrei gegen den unbequemen und politisch höchst unkorrekten Schreiber so laut ist. Doch statt Sarrazin aus der Partei auszuschließen, wäre es für die SPD wohl eher angebracht, ihr eigenes, leicht verstaubtes Menschenbild an die Realitäten anzupassen. Dazu gehört auch die Entrümpelung alter Dogmen, die von der Wissenschaft längst widerlegt sind. Denn natürlich ist z.B. Intelligenz zu einem Teil erblich, und natürlich gibt es genetische Unterschiede, nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch zwischen verschiedenen Teilpopulationen der Menschheit.
Von den Grünen hatte ich mir eigentlich ein wenig mehr Verstand erwartet. Aber der Ausspruch Claudia Roths in der Leipziger Volkszeitung sagt alles: ›Gespräche helfen bei diesem Quartalsirren (sie meinte Sarrazin) nicht weiter.‹ Das versteht Frau Roth unter demokratischem Diskurs.
Solange aber die Politiker einerseits nur herumpöbeln und sich andererseits hinter politisch korrekten Phrasen nach dem Motto: ›Was nicht sein darf, kann auch nicht sein!‹ verstecken, werden sich Bürger Klartext wie von Sarrazin wünschen. Und die politische Klasse wird immer lächerlicher und überflüssiger.
Bücher zum Thema:
Thilo Sarrazin, Deutschland schafft sich ab, DVA, 2010
Alice Schwarzer (Hrsg.), Man wird nicht als Frau geboren, Kiepenheuer & Witsch, 2000
Peter Mersch, Die Emanzipation – ein Irrtum!, BoD, 2009
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