Das sich selbst reproduzierende Web
(fi) Woche des Internets: Das Babyface von facebook, Mark Zuckerberg (26 & Big Boss) verpasste seinem milliardenschweren Baby ein neues Outfit, und Tageszeitungen landauf, landab berichten andächtig darüber, hier ein Beispiel aus der Münchner abendzeitung. Einen Tag später: Die Tagesschau höchstselbst schenkt google Sendeplatz zur besten Zeit für eine Produktpräsentation: der Dienst buzz wird lang und breit vorgestellt. Es ist irgendwie symptomatisch für die Haltung der ›etablierten‹ Medien den neuen, hippen und schnellen gegenüber: Einerseits starrt man andächtig darauf und bläst jedes Husten zu einer Medien-Sensation auf (ich erinnere an die Twitter-Hörigkeit vieler Journalisten). Andererseits aber ist man sauertöpfisch-skeptisch und schaut als ›seriöser‹ Journalist naserümpfend auf das Millionenheer der schlampigen Blogger herunter. Auf jeden Fall ist die Verunsicherung groß. Kein Wunder. Quo Vadis Medienlandschaft? Niemand weiß es.
Sicher ist: Wir sind (fast) im Online-Wonderland angekommen, das Internet verschlingt uns mit Genuss, so etwa, wie die Terminatoren hinter John Connor her sind. Ich scherze nicht: Der weltweite Energieverbrauch des Web liegt heute (2010!) bei rund 200 Milliarden Kilowattstunden, das sind schon rund 1,3 Prozent der weltweiten Stromerzeugung, und das alleine für den Betrieb der Infrastruktur des Netzes. Tendenz rasant steigend. Nicht mitgerechnet sind dabei die Geräte der Endverbraucher.
Es gibt heute (alles Stand 2010) weltweit geschätzte 110 Millionen domains, rund 250 Millionen komplette Websites, und hunderte Milliarden von Einzelseiten. 1995, als der Internet-Dienstleister Netcraft zu zählen begann, waren es gerade einmal 18.957 Sites. Die weltweite Online-Community hat sich innerhalb der letzten fünf Jahre verdoppelt. Etwa jeder fünfte Erdenbürger ist online. Voraussichtlich Ende des Jahres wird die Grenze von 1,5 Milliarden Online-Junkies überschritten. Gleichzeitig haben alleine in den USA in den letzten beiden Jahren hundert Tageszeitungen dicht gemacht. Und die Auflage aller deutschen Zeitungen zusammen ging in zehn Jahren um etwa ein Viertel zurück.
Und wir? Vernetzen uns, bookmarken und facebooken, twittern und tumblrn ad infinitum. Alles schön. Allerdings merken wir nicht, dass das Netz langsam die Macht übernimmt: Es instrumentalisiert uns, macht uns zu Posting-Maschinen. Updaten, am Laufen halten, aktuell sein. Re-posten! Twittern! Instagrammen! Das Netz reproduziert sich selbst, der Einzelne aber wird erschlagen, die Kreativität bleibt auf der Strecke, und man wünscht sich, weder Handy noch E-Mail-Anschluss zu haben (wie die wahren Geistesgrößen).
Posting- und Sharing-Kultur des Internets treiben böse Blüten:
Helene Hegemann, gehypte Jung- und Kultautorin hat einen Teil ihres hochgelobten ›Werks‹ Axolotl Roadkill quasi aus Versehen aus dem Internet abgeschrieben. Das etablierte Feuilleton hat’s nicht gemerkt und die Autorin zu einer wahren Heilsbringerin hochgeschrieben, zur ›neuen radikale Stimme der Literatur‹, bis das kleine Plagiat aufflog. Die Jungautorin äußerte sich recht süffisant dazu: Copy & Paste sei doch heute alltäglich. Und die Leiterin der Ullstein Buchverlage sagte, man nehme die Sache sehr ernst, verwies aber auch auf die ›Sharing-Kultur‹ des Internets mit der die Autorin nun mal aufgewachsen sei. Gehts noch?
Die Sache kann man der erst 17jährigen Hegemann am wenigsten vorwerfen. Vielmehr dem Lektorat und schließlich den überschlauen Feuilletonisten, die, genau wie Hegemann, abgeschrieben haben: einer vom anderen nämlich. Ohne das Buch wirklich kritisch unter die Lupe zu nehmen. Aufgesessen sind sie alle zusammen vermutlich dem geschickt eingefädelten und lukrativen Coup von Hegemanns medienerprobtem Paps, Autor und Professor für Dramaturgie in Leipzig, der das Ganze nun auch noch zu einem Seminar über Manipulation und unabhängiges Denken verarbeiten kann.
Soweit der kleine Exkurs in die reale Welt des Plagiierens, der aber auch zeigt, wie beide Medienwelten immer weiter verschmelzen. Übrigens, aufgedeckt wurde das Plagiat nicht von den ›etablierten Medien‹, sondern von einem engagierten Blogger. Und plötzlich verkehrten sich die Verhältnisse: Die geleimten Feuilleton-Redakteure posaunten nun, um ihr Ersturteil zu rechtfertigen: Kopieren ist doch gar nicht so schlimm, gehört heutzutage dazu. Während in vielen blogs über Hegemanns Tricksereien abgelästert wird.
Gibt es ein Fazit? Ja, die Form des Mediums, ob elektronisch oder Papier, ist egal. Auch der Status ist egal, ob ›etablierter Journalist‹ oder Blogger – egal. Was zählt ist: Selbstdenken, das gilt für Autoren, Journalisten und Blogger. Und gelegentlich den Ausschaltknopf des Computers finden, und sich auf ein weißes, unbeschriebenes Blatt Papier einlassen – sofern man zu den Schreibenden gehört.
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