Marcel Reich-Ranicki: Die Wutrede und ein Telefoninterview, das er im Anschluss gab (armin fischer /t&t)
(armin fischer/t&t)
Es bedurfte eines 88jährigen, um dem lächerlichen und langweiligen Antispektakel der Fernsehpreisverleihung etwas Leben einzuhauchen. Man merkte dem Alten schon an, dass es in ihm köchelte, und dann kam er – endlich – zu Wort: »Blödsinn« sei es, was er hier einen ganzen Abend über sich ergehen lassen musste, Und am liebsten würde er den Preis, dieses läppische Plastikteil, »von sich werfen«.
Es war auch bodenlos, was da geboten wurde, angefangen von einem Ingolf Lück, der sich zum Deppen machte, bis hin zu Atze Schröder, von dem man sowieso nichts anderes erwartete. Echte TV-Qualitätsprodukte, die sicher auch dabei waren, wurden von allen Seiten zugemüllt. Und in der Mitte der unverwüstliche gutgelaunte Pseudo-Blondschopf Gottschalk (der dann aber die Situation – Respekt! – erstklassig rettete).
Reich-Ranicki muss sich vorgekommen sein, als sei er im falschen Film. Er, wie immer auf der Suche nach Kultur, landete im Affenhaus. Was folgte, war konsequent.
Dass er damit der einzige war, der der Sendung ein wenig Pfeffer verlieh, sagt alles. Im nächsten Jahr wird sich der Veranstalter der Gähn-Show einen Reich-Ranicki-Ersatz mieten müssen, damit man Grund hat, einzuschalten. Obwohl manche über den Ausbruch des zornigen alten Mannes bitter lamentierten. Veronica Ferres etwa, inzwischen soetwas wie die Mutter Beimer der TV-Schickeria, jammerte, Reich-Ranicki hätte mit seinen Worten »vielen weh getan«.
Naja, sie werden es verkraften.
Nach seinem Wutausbruch gab MRR dem Deutschlandfunk ein Telefoninterview, hier hören:
„Der ganze Abend war scheußlich, das hatte überhaupt keinen Sinn…dass das so ein Mist ist, habe ich nicht gewusst“
Hier der volle Wortlaut von Marcel Reich-Ranickis ‚Wutrede‘:
Marcel Reich-Ranicki: „Meine Damen und Herren, ich habe in meinem Leben, in den 50 Jahren, die ich in Deutschland bin, viele Literaturpreise bekommen. Sehr viele – darunter auch die höchsten, wie den Goethe-Preis, den Thomas-Mann-Preis und einige andere.
Und ich habe immer gedankt für diese Preise, wie es sich gehört und bitte – verzeihen sie mir, wenn ich offen rede – es hat mir keine Schwierigkeiten bereitet, für die Preise zu danken. Heute bin ich in einer ganz schlimmen Situation. Ich muss auf den Preis, den ich erhalten habe, irgendwie reagieren und der Intendant Schächter sagte mir: ‚Bitte, bitte, bitte nicht zu hart.‘ Ja, in der Tat. Ich möchte niemanden kränken, niemanden beleidigen oder verletzen. Aber ich möchte auch ganz offen sagen: Ich nehme diesen Preis nicht an!
Ich hätte das – werden Sie denken und sagen – früher erklären sollen. Natürlich, aber ich habe nicht gewusst, was hier auf mich wartet, was ich hier erleben werde. Ich gehöre nicht in diese Reihe der, heute vielleicht sehr zu recht, Preisgekrönten. Wäre der Preis mit Geld verbunden, hätte ich das Geld zurück gegeben. Aber er ist ja nicht mit Geld verbunden, ich kann nur diesen Gegenstand, der hier verschiedenen Leuten überreicht wurde, von mir werfen, oder jemandem vor die Füße werfen. Ich kann das nicht annehmen.
Und ich finde das auch schlimm, dass ich das hier erleben musste. Es gibt ja Abende, die man ganz schön erlebt. Nein nicht – ich werde Ihnen jetzt nicht sagen, mit der Lektüre von Goethe oder Berthold Brecht. Nein, man kann im arte-Programm manchmal sehr schöne wichtige Sachen sehen. Ich habe auch früher häufig Wichtiges im 3sat-Programm gesehen, aber das hat sich jetzt geändert. Meist kommen da schwache Sachen, aber nicht diesen Blödsinn, den wir hier zu sehen bekommen haben.
Ich will nicht weiter darüber reden, es sind ja auch Kollegen von mir hier auf der Bühne gewesen, Stefan Aust, Markwort, und Thomas Gottschalk….“
Thomas Gottschalk: „Darf ich einen Rettungsversuch unternehmen?“
Marcel Reich-Ranicki: „Los…!“
Thomas Gottschalk: „Einen Vorschlag zur Güte… Sie haben wie immer völlig recht. Aber ich finde, wir sollten uns rächen. Sie können nicht einfach nach Hause gehen. Passen sie auf: Hier sitzen die Intendanten des ZDF, von ARD, RTL. Wir setzen uns gemeinsam eine Stunde im Fernsehen hin. Wir stellen diesen Preis in die Ecke und reden über alles das, worüber man im Fernsehen nicht mehr redet: über Bildung, über Lesen über Erziehung…“
Marcel Reich-Ranicki: „Über Literatur!“
Thomas Gottschalk: „Über Literatur zum Beispiel. Darf ich das sozusagen als ein Güteangebot – die Herrschaften können sich gerne darum streiten – ARD, ZDF. RTL ist durchaus eingeladen. Damit Sie sozusagen nicht mit leeren Händen nach Hause gehen, würde ich den [Preis] für sie aufbewahren. Wollen wir einfach dieses im Programm… Wollen wir im ZDF, wir können auch gerne zusammenschalten – ARD will auch – bitte einigt euch… Wir schalten gerne zusammen. Wir machen das an einem Sonntagabend. Ich bereite mich auf diese Veranstaltung vor – ist das in Ordnung?“
Marcel Reich-Ranicki: „Jawohl! Ich akzeptiere das. Wenngleich skeptisch, ob was daraus werden wird!“
Thomas Gottschalk: „Das ist in Ordnung.“
Marcel Reich-Ranicki: „Ob wir beide was erreichen werden? Wir wissen im Voraus, was der ein oder andere Intendant sagen wird. Der wird nämlich sagen: ‚Ihr habt ja recht, aber das lässt sich nicht so einfach realisieren.'“
Thomas Gottschalk: „Sie haben den Ehrenpreis des deutschen Fernsehens. Sie dürfen alles im Fernsehen. Wenn Sie ihn nehmen!“
Marcel Reich-Ranicki: „Ja… also… Wir wollen das nicht zu lang hier machen. Ich muss Ihnen noch eine kurze Geschichte zum Abschluss erzählen. Aber wir haben uns ja geeinigt und Gottschalk hat einen guten Vorschlag gemacht.“
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